Ariane Tanner

Von Molekülen, Parasiten und Menschen. Alfred James Lotka und die Mathematisierung des Lebens

In Lotkas Werk "Elements of Physical Biology" von 1925 werden sämtliche Prozesse in der anorganischen und organischen Natur als Masse-/Energietransfers in einem System verstanden. Chemische Reaktionen, Nahrungsketten, konkurrierende Arten, Ressourcennutzung, Bevölkerungswachstum, Mobilität, Arbeit… alles wird als Energietransformationen interpretiert, die dadurch mathematisiert werden können. Eklektisch? Ein Fehlschlag? Entgegen diesen Verdikten der spärlichen wissenschaftshistorischen Darstellungen nimmt die Dissertation Lotkas Monographie als Mathematisierung der Lebenswelt ernst.

Ein 'langes energetisches Jahrhundert' von der Energetik Wilhelm Ostwalds um 1900 bis zu den schematischen Energieflüssen der Systemökologen von Ende der 1950er Jahre wird beschrieben. Gleichzeitig skizziert die Arbeit ein Psychogramm des nicht-akademisch Forschenden Lotka und stellt ihn mit Emotionen und Intentionen in Bezug auf sein Werk dar. Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die zusätzliche Publizität, aber auch die Abwertung der Originalität, die Lotka durch eine mathematische Mehrfachentdeckung (die so genannten Lotka-Volterra-Gleichungen) erfuhr.

Die Arbeit leistet einen Beitrag zur Geschichte des Systembegriffs im 20. Jahrhundert und zum Ort der Mathematik in der Ökologie. Sie entwirft eine Wissensgeschichte über ein Werk und dessen Autor, die ideengeschichtliche, wissenssoziologische und emotionshistorische Aspekte verbindet und somit das traditionelle Genre der Biographie neu deutet.

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