Peter Geimer

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Die Geschichte technisch erzeugter Bilder wird meist als eine Erfolgsgeschichte der Repräsentation geschrieben: Immer bessere Techniken wurden entwickelt, immer genauere Bilder wurden auf immer schnellere Weise hervorgebracht. Der Geschichte des technischen Bildes entspricht aber von Anfang an auch eine Geschichte der technischen Bildstörung. Mit dem Erscheinen der Störung setzt die Botschaft aus: Statt der gewünschten Abbildung der Welt liefert der Apparat ein unvorhergesehenes Bild  seiner eigenen Materialität. Was in der Übertragung unsichtbar bleiben sollte – nämlich das technische Medium dieser Übertragung selbst – kommt jetzt als Bild zum Vorschein und irritiert den Fluß der Information.

Diesem Augenblick der Irritation gilt das Interesse des Projekts. Dabei geht es vor allem darum, die Unterbrechung nicht als defizitär, negativ oder peripher zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil ihre Positivität herauszuarbeiten. Die Bildstörung ist ein Bild der Störung. Gerade im Augenblick seines Nicht-Funktionierens macht sich die Funktion eines bildgebenden Verfahrens bemerkbar und zwingt seine Entwickler oder Benutzer dazu, einzugreifen (oder über das sichtbare Gewordene nachzudenken).

Das Projekt behandelt die ästhetischen und epistemsichen Wirkungen dieses ikonographischen Unfalls am Beispiel der Fotografie. Zum einen soll gezeigt werden, daß die Geschichte der Fotografie seit jeher auch eine Geschichte der fotografischen Schleier, Schlieren, Unschärfen, abschmelzenden Bildschichten etc. war. Zum anderen soll in einzelnen Fallstudien die sogenannte "Fotografie des Unsichtbaren" um 1900 (Röntgenstrahlung, Radioaktivität, Gedanken etc.) untersucht werden, bei der nicht mehr zweifelsfrei zu entscheiden war, was die die fotografische Platte eigentlich zum Vorschein gebracht hatte: Spuren des fraglichen Phänomens oder Spuren des Fotografischen selbst? Fakten oder Artefakte? "Eine winzige Ortsveränderung entscheidet darüber, ob ich ein Rauschen oder den Beginn einer Botschaft wahrnehme" (Michel Serres). Schliesslich wird gezeigt, auf welche Weise Künstler (Strindberg, Polke, Araki) den ästhetischen Überschuss der Störung gezielt genutzt und in Szene gesetzt haben.

Bisherige Veröffentlichungen zum Thema:

  • "Das Bild als Spur. Mutmassung über ein untotes Paradigma". In: Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. ed. Sybille Krämer, Werner Kogge u. Gernot Grube. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 95–120.
  • "Blow up", in: Der liebe Gott steckt im Detail. Mikrostrukturen des Wissens, hg. v. Wolfgang Schäffner, Sigrid Weigel u. Thomas Macho, München: Fink 2003, S. 187–202.
  • "Was ist kein Bild?", in: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, hg. v. Peter Geimer, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2002, S. 331–341.
  • "L'autorité de la photographie. Révélations d'un suaire", in: Etudes photographiques, 6/1999, S. 67–99.

Überall hausen Dinge: Man benutzt sie, sammelt sie, starrt sie an, entsorgt sie oder läßt sie auf sich beruhen. Jedenfalls sind die Menschen, wie Bruno Latour zu Recht bemerkt hat, "nicht mehr unter sich": Die Gegenstände spielen mit, nehmen Bedeutungen an oder stehen im Weg.

Dabei tretren immer wieder einzelne Objekte aus der Anonymität heraus und werden zu Gegenständen einer besonderen Aufladung: im Museum versetzt man Objekte in Vitrinen, leuchtet sie aus und versieht sie mit zahlreichen Einfassungen und Beschriftungen. Aber wer oder was redet in den Dingen? Was bleibt etwa vom Leben des Thomas Wolsey in jenem roten Kardinalshut zurück, den er im England des 16. Jahrhundert auf dem Kopf trug (Bibliothek des Christ Church College, Oxford)? Wieso soll eine Tasse beachtenswert sein, nur weil Heinrich von Kleist aus ihr getrunken hat (Kleist-Museum, Frankfurt/Oder)? In solchen Inszenierungen erhalten die Dinge eine Bedeutung, die man ihnen nicht ansieht, von der man aber wissen kann. Ihre Zeugenschaft wird ihnen zugeschrieben, kann ihnen – wie die Echtheit eines alten Gemäldes – aber auch wieder abgeschrieben werden: Wenn sich die Überlieferung als ungesichert, die Expertise als falsch, die Signatur als mangelhaft erweist, verlieren die Reste ihren Mehrwert. Die Aura wird ausgeknipst, das Ding fällt auf den "Nullpunkt der Bedeutung" (Paul Valéry) zurück.

Am Beispiel konkreter Objekte und unter Einbeziehung literarischer Texte (Ponge, Proust) und theoretischer Positionen (Latour, Heidegger, Flusser, Pomian) geht das Projekt der Frage nach, unter welchen Umständen Zeug zum Zeugnis wird, wie die bedeutungsgeladenen Dinge sich aber unversehens auch wieder entladen können.

Bisherige Publikationen zum Thema:

  • "Nur der Wasserhahn war Zeuge. Warum interessieren wir uns so für Dinge?" in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Februar 2007 ("Bilder und Zeiten"), Z 3.
  • "Über Reste", in: Dingwelten. Das Museum als Erkenntisort, hg. v. Anke te Heesen u. Petra Lutz, Köln/Weimar: Böhlau 2005, S. 109–118.
  • "'Hier'. Bern, Kramgasse 47" in: Einstein on the Beach. Der Physiker als Phänomen, hg. von Michael Hagner, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag 2005, S. 274–290.
  • "Theorie der Gegenstände. 'Die Menschen sind nicht mehr unter sich'", in: Person/Schauplatz (=Interventionen 12), hg. v. Jörg Huber, Zürich/New York: Springer/Edition Voldemeer 2003, S. 209–222.
  • "Vorfälle in einer Glasvitrine", in: Wilhelmstrasse 44, Berlin, hg. v. Michael Hagner, Anke te Heesen und Candida Höfer, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2003, S. 91–96.
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